Hand-/Schuhwerk
Von meinem Arbeitsrechts-Professor, dem Wiener Franz Marhold, habe ich einen Ausspruch geklaut, den ich mir seit dreißig Jahren zu eigen gemacht habe: “Wenn ich etwas mit meinen Händen anfangen könnte, hätte mich mein Vater etwas Richtiges lernen lassen.”
Handwerk hat mich schon immer fasziniert, und ich finde es immer noch unglaublich, dass mein Kontrabass einmal ein Baum war und dann von einem Menschen in ein so filigranes Instrument verwandelt wurde. Aber s.o. …
Von Tinas kleinem Balkon in Chișinău können wir auf die Schuhwerkstatt von Valentin Frunza (http://valentinfrunza.com) schauen, und seit Jahren denke ich darüber nach, ob ich mir dort einmal Schuhe machen lassen soll. Nachdem nun klar war, dass die Zeit in Moldau enden wird, habe ich mich endlich durchgerungen, als ich zu Pfingsten hier war. Es war ein totales Erlebnis!
Der kleine Laden, in dem Valentin mit zwei Mitarbeitern arbeitet, ist eine sehr eigene kleine Welt, mit Materialien, Werkzeugen und Gerüchen, die an vergangene Zeiten erinnern. Valentin, der das Handwerk bereits mit 12 Jahren von seinem Vater gelernt hat, einige Jahre im Ausland war und seit 2009 seinen eigenen Laden an dieser Stelle betreibt, ist total begeistert von seinem Sujet - man muss auf jeden Fall Zeit mitbringen.
Kommt man zum ersten Mal dorthin, wird erst einmal eine ganze Weile über die Vorstellungen und Wünsche gesprochen, die man denn so hat, und es werden die unterschiedlichen Modelle und die verschiedenen Leisten mit Vor- und Nachteilen diskutiert. Ist die Entscheidung dann gefallen, werden beide Füße vermessen - diese sind ja in der Regel nicht gleich.
Anschließend geht es ins Allerheiligste, das Lederlager. Dort kann man sich aus einer Vielzahl von Ledern aussuchen, woraus die Schuhe entstehen sollen. Einmal im Jahr fährt Valentin nach Wien, wo er bei seinem Händler italienisches Leder kauft und zurück nach Moldau bringt.
Einige Wochen nach dem ersten Besuch bekommt man dann zunächst einmal einen “Probeschuh”, den Valentin (auch schon von Hand!) aus günstigerem Material erstellt. Dieser entspricht dem endgültigen Schuh, aber man hat noch die Möglichkeit, zu prüfen, ob alles perfekt passt. Den hat Tina mir nach Bonn mitgebracht und wir haben, wie sich das in der Pandemie gehört, die Anprobe per Videokonferenz erledigt.
Als ich jetzt wieder in Chișinău ankam, waren die Schuhe bereits fertig. Noch eine weitere Anprobe und letzte Änderungen, aber dann konnte ich ein komplett von null für mich individuell erstelltes Paar in Empfang nehmen. Und sie sind toll! Ein ganz klassisches Modell, das für die Ewigkeit gedacht ist.
Natürlich ist es für Menschen mit normalen Füßen überhaupt nicht notwendig, Maßschuhe zu tragen, aber das war schon ein sehr spannendes Erlebnis. Und bei guter Pflege hoffe ich, viele Jahre Freude an orthopädisch perfektem Schuhwerk zu haben - günstiger als ein neues iPhone, das ich dieses Jahr wirklich nicht schon wieder brauche, waren die Schuhe auch. Auf jeden Fall die nachhaltigere Investition.
Die Vorstellung, dass so etwas von Hand erschaffen wird (und zwar nicht von Kindern, mit zweifelhaften Materialien und dubiosen Lieferketten), begeistert mich sehr. Gerade hier in Moldau, wo - allein aus wirtschaftlicher Notwendigkeit - noch keine ausgeprägte Wegwerfmentalität vorherrscht, kann man sehen, dass Dinge sehr langfristig benutzt werden. Darüber werde ich auf jeden Fall nachdenken, wenn ich das nächste Mal meine, den neuesten Elektronik-Kram ganz dringend zu brauchen….