Netflix and Prag

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Seit gut 30 Jahren fahre ich nun schon - mit Unterbrechungen - mit Freund S. in Urlaub, seit 13 Jahren auf Städtetrip (oder wie S.’ schlauer Sohn das nennt: Jochenende). Irgendwann vor ca. 30 Jahren war ich auch das letzte Mal in Prag. Einmal mit dem Bus und der Schulklasse - damals wurden noch Grenzbeamte vom Busfahrer mit “echter” Cola bestochen, heute hoffentlich verjährt. Ein zweites Mal mit dem alten Golf von W., der Gitarre und der Mundharmonika - im “Ostblock” konnte man damals noch billig Platten kaufen, ein wesentlicher Reiseanreiz.

Letztes Jahr hatte uns die Pandemie von der eigentlich geplanten Reise ins Baltikum abgehalten, stattdessen waren wir Mountainbiken (ja, ich gebe es zu: E-Mountainbiken) im Hochsauerland. Deshalb sollte es dieses Jahr wieder etwas größer werden, und “so leer werden wir Prag nie wieder sehen” gab den Ausschlag. Spoiler-Alarm: mag stimmen, aber leer war es beim besten Willen nicht. Das Infektionsgeschehen ließ die Reise zu (weiterer Spoiler-Alert: Covid-19 existiert in Prag nicht mehr…), und die Einreise geht heute problemlos mit dem Personalausweis, den ich noch nicht einmal vorzeigen musste - genauso wenig wie den digitalen Impfnachweis.

Gebucht war ICE bis Frankfurt und Flugzeug von dort, Abfahrt 14:27 Uhr, Ankunft 17:40 Uhr. Klingt zu gut um, um wahr zu sein? Tja… Bereits die Bahn fiel aus, fünf Stunden Warteschleife in der Hotline, hektisches Einchecken in den nächsten Flieger (nur leichte Verspätung), einen relativ angenehmen Flug und eine Taxifahrt später, konnte ich um kurz vor 12 mit S. anstoßen - kurz, bevor das Lokal schloss. Wenn ich nicht vorher schon erhebliche Bedenken gehabt hätte, was die Sinnhaftigkeit von Kurztrips mit dem Flieger angeht, jetzt wäre es soweit. Ich habe gelernt, dass wir die Welt nicht retten, indem wir auf sowas verzichten; aber wenn es dann auch noch so ätzend läuft, fällt die Entscheidung im kommenden Jahr vielleicht doch wieder für das Rad.

Anschließend war es natürlich wieder ganz toll. Wir haben das volle Touristenprogramm durchgezogen, uns mit einem Audioguide bewaffnet, standen blöd im Weg rum und haben gestaunt. Anders als vor 30 Jahren haben wir uns diverse Eintritte gegönnt und hatten vielleicht einen anderen Zugang zu Dingen - humanistische Bildung hatte im Jahr 1988 noch nicht viel bei mir angestoßen, mittlerweile gedenke ich aber doch dem ein oder anderen „Pauker“ in stiller Dankbarkeit.

Dies soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die spannendste Episode begann, als aus dem Fenster eines jüdischen Museums der Blick auf eine Straßensperre fiel und wir laute Explosionen hörten. Unsere Frage, wieso denn in Sichtweite Menschen in Panik davonrannten, aber hier alle völlig ungerührt waren, wurde lapidar mit „Netflix“ beantwortet.

Unser Versuch, auf das Gelände zu gelangen oder zumindest in größerem Umfang die Dreharbeiten zu dokumentieren, wurde von mehr oder minder freundlichen Herren auf Tschechisch und Englisch („No photos, please““) schnell unterbunden. Immerhin wurde uns bestätigt, dass Netflix - wie vor der Pandemie schon sehr üblich - dort dreht. „Can‘t tell you the name, but just google ‚most expensive Netflix movie ever‘“. So wissen wir nun, dass außer uns noch Ryan Gosling und Chris Evans in der Stadt waren - der Film wird wohl „The Gray Man“ heißen, und ich kann berichten, dass ordentlich geballert wird.

Beide haben wir an diesem Tag nicht mehr getroffen, aber zum Abendessen setzte uns der Zufall neben ein Paar in ungefähr unserem Alter, die wir - in einer typischen Touri-Kneipe - ebenfalls für Touristen hielten. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nur schnell „auf ein Bier um die Ecke“ gegangen waren (aus ihrer Stadtwohnung, natürlich gab es auch noch ein Haus auf dem Land…). Einige Biere und weiteres Googlen danach konnten wir dann im Nachhinein feststellen, dass wir mit einem der offensichtlich berühmteren Tschechischen Schauspieler (immerhin eine echte Oscar-Nominierung) und Drehbuchautoren und seiner Frau den Abend verbracht hatten. Falls das jemanden interessiert: Seit seinem Urgroßvater heißen alle in der Dynastie Rudolf, er selbst mit dem Beinamen „der jüngste“ - google him yourself.

Ein weiterer toller Tag, eine entspannte Heimreise weiter, ein kurzes Fazit: Vier Tage Prag sind super, weniger wäre zu kurz, mehr könnte anstrengend werden. Die Anreise ist grundsätzlich problemlos per Bahn, Auto oder Flugzeug (nicht machen!) möglich. In der Tat ist noch nicht wieder so viel los, wie (ausweislich Instagram) in den Hochzeiten. Aber es ist weit davon entfernt, wirklich leer zu sein. Wer geimpft, genesen oder risikobereit ist, sollte sich das vielleicht noch in nächster Zeit mal vornehmen. Klar ist, anders, als nach außen kommuniziert: Corona-Schutzmaßnahmen gibt es dort aktuell quasi nicht mehr.

Würde ich wieder hinfahren: auf jeden Fall. Aber Fliegen ist Mist.


Reiseinfo, Stand Juli 2021:

Deutschland ist aktuell „grünes“ Land, es ist momentan in beiden Richtungen weder ein Covid-Test, noch ein Impfnachweis oder dergleichen für die Einreise erforderlich. Auch eine Quarantänepflicht besteht bei Ein- oder Rückreise nicht.

Die Währung in Tschechien ist die Krone, 100 Kronen entsprechen aktuell etwa 4 Euro. Wir hatten fast kein Bargeld getauscht, man kommt mit Kreditkarten und Euro einigermaßen klar. Einen Grundstock an Kronen sollte man allerdings mitführen.

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